Remigration – Was würde das bedeuten? Ganz praktisch gedacht!
Die „Rückführung von Migranten im großen Stil“ hat Alice Weidel auf dem Parteitag ihrer Partei angekündigt und steht nun auch im Wahlprogramm. In Ahe würde das bedeuten, dass von rund 4.000 Bürger*innen rund 1.600 ihre Koffer packen könnten. Ob das die Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme darstellt? Ich möchte dies mit einigen Beispielen aus dem Alltag hinterfragen. Jede*r kann dann selbst seine Meinung bilden.
13 Prozent der Bevölkerung in Deutschland – insgesamt zählt das Statistische Bundesamt 82,7 Millionen Bürger*innen – haben keine deutsche Staatsangehörigkeit. Das sind 10,7 Millionen Menschen. Sollen diese alle remigrieren? Wer macht das? Nach welchen Kriterien? Und wer nimmt sie auf? Werden sie dann zwischengeparkt in irgendwelchen Lagern? Welche Auswirkungen hat das im Alltag in Deutschland?
Beispiel Gesundheit: Unter den rund 428.000 praktizierenden Ärzt*innen in Deutschland verfügen 64.000 nicht über einen deutschen Pass, darunter rund 6.120 aus Syrien. Das sind 15 Prozent. In einer älter werdenden Gesellschaft brauchen wir eine Dienstleistung besonders: Gesundheit. Insbesondere im ländlichen Raum werden in den nächsten Jahren rund 50.000 Hausärzt*innen fehlen. Das Durchschnittsalter eines niedergelassenen Arztes/ einer niedergelassenen Ärztin liegt bei 55 Jahren. 23 Prozent der berufstätigen Ärzt*innen sind älter als 60 Jahre. Wer ersetzt sie, zumal wenn die ausländischen Ärzt*innen remigriert werden? Das wird bedeuten, das viele Menschen früher versterben werden. So kann man das Rentenproblem auch lösen. Wer das will, muss in der Tat AfD wählen.
Beispiel Pflege: Unter den rund 1,7 Millionen Pflegekräften in den Pflegeeinrichtungen in Deutschland sind rund 16 Prozent ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die sind also weg. Immerhin: 272.000. Dann bedenken wir auch noch die rund 300.000 Pflegekräfte aus Osteuropa, die in deutschen Privathaushalten pflegen. Wer wechselt dann die Windeln bzw. füttert? Wer will, dass ältere, pflegebedürftige Menschen in ihrem Kot liegen bleiben und verhungern, der muss in der Tat AfD wählen.
Beispiel Spedition: Wussten Sie, dass rund 160.000 Menschen im Speditionsgewerbe keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das sind rund 25 Prozent aller Paketboten und Lastkraftwagenfahrenden. Die Pakete aus den zahllosen Online-Shops werden von diesen Menschen nach Hause gebracht. Das wird – so der Plan der AfD – nun deutlich länger dauern, wenn diese Speditionskräfte remigriert sind. Nach der Bundestagswahl sollten Sie – je nach Wahlausgang – ihre Weihnachtsgeschenke schon zu Ostern planen, damit sie pünktlich unter dem Weihnachtsbaum liegen.
Beispiel Urlaub: Ähnlich wird es sein, wenn Sie verreisen. Wer sortiert an den deutschen Flughäfen die Koffer? Aber warum sollten wir in die Ferne fliegen? Deutschland, Deutschland, Vaterland wird dann zum Urlaubsland Nummer eins. Aber wer sorgt in der Gastronomie dafür, dass der Cappuccino serviert wird, dass das Abendessen eingenommen werden kann – Ausländer sind ja nicht mehr da. Übrigens ein Phänomen, dass der Brexit schon in Großbritannien vorgeführt hat.
Dass neben der AfD auch andere Parteien das Thema Migration in seiner negativsten Seite vortragen, verkennt die Lage, in der Deutschland ist. Deutschland braucht Fachkräfte, aber die Fachkräfte brauchen Deutschland nicht. Wer will in einem Land leben und arbeiten, dass Einfalt statt Vielfalt schätzt? Auch viele junge deutsche Fachkräfte werden sich weltweit umsehen, für welches Unternehmen sie arbeiten wollen. Ich bin erschrocken, wie wenig Unternehmende diese Situation erkennen und entsprechend aktiv werden. Noch erschrockener bin ich, wie leichtfertig hier die Zukunft von Deutschland aufs parteipolitische Spiel gesetzt wird.
Dass auch wir – hier in Ahe – besondere Herausforderungen durch eine massive Zuwanderung haben, dass die integrationspolitischen Bemühungen wenig Schritt halten mit dem Alltag und den Konflikten, die sich im täglichen Miteinander von 59 Nationalitäten ergeben, ist nicht neu. Dass hier in Ahe lange zu wenig gemacht worden ist, gebe ich unumwunden zu. Das rechtfertigt jedoch keinesfalls die Forderung nach einer „Rückführung im großen Stil“. Wer nicht erkennt, dass wir alle aufeinander angewiesen sind, egal, woher er kommt, dem ist nicht zu helfen. Wichtiger als unsere unterschiedliche Herkunft, bleibt unsere gemeinsame Zukunft. Die kann nur gestaltet werden, wenn gesellschaftliche Regeln von allen eingehalten werden. Dafür setze ich mich konsequent ein, ohne Hass und Hetze.