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Klimaschutz in Bergheim – nachhaltige Anstrengungen notwendig, und zwar von allen

19. September 2021

Der Rat der Stadt Bergheim wird in seiner Sitzung am 27. September 2021 ein Klimaschutzkonzept verabschieden. Dazu habe ich als parteiloser Stadtrat und Ortsbürgermeister von Ahe gemeinsam mit meinen beiden Fraktionskollegen in der FDP-Fraktion eine Stellungnahme erarbeitet, die ich nachstehend zur Kenntnis bringen möchte. Der Klimaschutz wird, wenn man ihn ernst nimmt, und das sollten wir alle tun, deutliche und nachhaltige Veränderungen mit sich bringen. Unsere Stellungnahme lautet:

„Grundsätzlich ist sehr zu begrüßen, dass die Stadt Bergheim in einem strategisch angelegten Verfahren, zielorientiert Klimaschutzmaßnahmen ergreifen will, um klare Klimaziele in klar beschriebenen Zeiträumen zu erreichen.

Die Frage, die sich stellt, ist, ob die im Konzept genannten Zielsetzungen (Seite 20) überhaupt noch aktuell von Bedeutung sind? Denn im Juni 2021 beschloss das Europäische Parlament ein Klimagesetz mit weitreichenden, auch für Bergheim relevanten Folgen. Die EU verpflichtet sich darin erstmals verbindlich, da gesetzlich, dazu, das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Es wird also zum Beispiel ein ökonomischer Produktionsprozess angestrebt, in der „keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt“ ist (Dekarbonisierung). Daraus folgt, dass die Treibhausgasemissionen in der EU bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent (zuvor 40 Prozent) unter dem Wert des Jahres 1990 sinken.

Um es klar zu sagen: dieses Ziel der EU ist sehr ambitioniert, und wird allen gesellschaftlichen Akteur*innen viel abverlangen. Schließlich müssen die EU-Staaten in den nächsten zehn Jahren mehr Treibhausgase (THG) einsparen, als sie es in den vergangenen 30 Jahren geschafft haben.

In Bergheim verfolgt das Klimaschutzkonzept eine „gesamtstädtische THG-Minderung von durchschnittlich drei Prozent pro Jahr“. Das macht bis 2030 rund 30 Prozent. Wenn man das EU-Klimagesetz richtig versteht, wird aber das Doppelte notwendig werden. Was heißt das für das Konzept?

Im Vorwort (Seite 3) schreibt Herr Bürgermeister Mießeler: „Klimaschutz und Klimawandel bleiben eine Teamaufgabe“. Das ist vollkommen richtig. Daraus folgt aber auch, dass sich alle als ein Team begreifen (lernen) müssen, dass wir alle gesellschaftlichen Akteur*innen kommunikativ erreichen und überzeugen, aktiv klimaschützend mitzuwirken. Das setzt voraus, dass die Klimaziele geteilt (und damit verstanden) werden und dass die damit verbundenen Maßnahmen tatsächlich mit Leben gefüllt werden.

Das Konzept selbst sieht daher – zu Recht! – die Notwendigkeit der Entwicklung einer „Kommunikationsstrategie“ vor. Schließlich, so lesen wir auf Seite 185, muss viel bewegt werden: „von der Sensibilisierung über ein Umlernen hin zu Nachfragegestaltung und Handlungsunterstützung“. Die Kommunikationsstrategie anerkennt zum Beispiel die „zielgruppenspezifische Ansprache“ als wichtig. Das stimmt. Gleichwohl wird der besonderen Situation Bergheims nicht entsprochen. Denn 19 Prozent der Einwohnenden sind Menschen ohne deutschen Pass, rund 40 Prozent dürften einen Migrationshintergrund haben. Migranten werden als Zielgruppe nicht genannt. Das ist fahrlässig. Sie mit einer herkömmlichen Kampagne ansprechen zu können, ist zudem naiv. (Das haben wir schon in der Corona-Pandemie versäumt.)

Hinzu kommt, dass wir in Bergheim schon längst viele Menschen nicht mehr erreichen, was sich zuletzt bei der Kommunalwahl 2020 zeigte, als nur 46 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten. War ihnen Bergheim egal? Und wie motivieren wir sie nun, das Thema „Klimaschutz“ ernst und wichtig zu nehmen und insbesondere lieb gewordene Verhaltensweisen zu ändern? Dies wiederum gelingt auch nur dann, wenn sich der Stadtrat einig ist und wenn es gelingt, viele Multiplikator*innen der kommunalen Stadtgesellschaft zu erreichen und für den Prozess zu gewinnen. Die im Klimaschutzkonzept genannten Akteur*innen (Seite 179-181) können nur ein beispielhaft genannter Teil der zu gewinnenden Klimapartner*innen sein.

Das Klimakonzept lässt Zusammenhänge zu anderen gesellschaftlichen Megatrends außer Acht: Demografie, Digitalisierung, Diversität. Doch diese Trends beeinflussen einander. Klimaschutzmaßnahmen werden nicht wirken, ohne sie sachlich zu berücksichtigen. Das sollte im Konzept berücksichtigt werden. Beispiel: Was bedeutet der demografisch bedingte Fachkräftemangel für den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien?

Schließlich lesen wir immer wieder Ziele, ohne die Basiskennzahlen zu kennen. Beispiel: „Die Kreisstadt strebt die „Verdoppelung der Sanierungsquote im privaten Gebäudebestand bis zum Jahr 2035 an“. Was heißt das? Statt ein Haus werden es 2035 zwei Häuser sein? Weitere Beispiele könnten ergänzt werden (siehe Seite 21).

Das Klimaschutzkonzept verfolgt das zentrale Ziel, nachhaltig die Produktion und den Ausstoß von THG zu vermeiden. Das ist im Grunde auch richtig, da die Grundthese davon ausgeht, dass der Klimawandel industriell menschenverursacht worden ist. Was aber völlig außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass auch Maßnahmen, die THG aufnehmen, dazu beitragen könnten, Klimaneutralität zu erreichen. Dazu zählt zum Beispiel die Anpflanzung von Bäumen. Auch technische Innovationen, die THG vielleicht irgendwann „neutralisieren“ könnten, zählen dazu. Gerade Bergheim als vom Kohlekompromiss nachhaltig betroffen, sollte mutiger und entschlossener in diese Richtung denken. Könnten das nicht „Unternehmen 5.0“ sein? Stehen nicht Milliarden zur Verfügung, um den Strukturwandel zu gestalten? Diese Aspekte fehlen in dem Konzept völlig. Warum? Nur weil man sich das jetzt nicht vorstellen kann, heißt es nicht, dass es nicht möglich ist.

Das Konzept trägt viel Wissen und damit auch Fakten zusammen, wie und wo THG vor allem in Bergheim entstehen. So wissen wir zum Beispiel, wieviel THG-Emissionen ein*e einzelne*r Bürger*in im Jahr ausstößt (Seite 33). Was wir vermissen ist, wie viel THG-Emissionen ein*e einzeln*e Bürger*in 2035 oder 2050 ausstoßen darf, wenn wir die Klimaziele tatsächlich erreichen wollen. Was kann (muss) jede*r Bürger*in konkret eigenverantwortlich tun – durch die Veränderung des Mobilitätsverhaltens, durch die Veränderung der Ernährung, durch die Veränderung der Hausdämmung, durch die Veränderung seines Strom- und Energieverbrauchs? Aber auch durch das Pflanzen von Bäumen? Wie machen wir das messbar? Wie erlauben wir auf diese Weise ermutigende und motivierende Erfolgserlebnisse? Schließlich wird auf Seite 43 festgehalten, dass „die größten Einsparpotenziale“ im Bereich der privaten Haushalte anzusiedeln seien.

Wir brauchen das Engagement der Bürger*innen – aller Bürger*innen, wenn möglich. Da sind wir wieder bei der Kommunikationsstrategie und der Erreichbarkeit der Menschen, der zielgruppengerechten Ansprache. Und wir brauchen mehr konkretere Zielsetzungen. Beispiel von Seite 21: „Die Fahrgastzahlen im ÖPNV und SPNV werden gesteigert.“ Was heißt das? Statt 100 fahren 110 mit dem Bus in die Stadt?

Wenn, wie auf Seite 47 beschrieben wird, dem Ausbau der Erneuerbaren Energien eine sehr große Bedeutung zur Erreichung der Klimaziele beikommt, dann braucht es viel Überzeugungsarbeit und Finanzierungskraft. Denn auf Seite 55 ist ein ernüchterndes Fazit zu lesen: „Es wird deutlich, dass die Energieverbräuche in Bergheim ohne weitere Klimaschutzaktivitäten nur begrenzt bis zum Jahr 2050 reduziert werden können und somit das übergreifende Klimaziel der Bundesregierung nicht erfüllt werden kann.“ Von den noch ehrgeizigeren Klimazielen der EU hat man da noch nichts gewusst. Allerdings wird im Konzept auch festgehalten, dass es möglich wäre, diese Klimaziele zu erreichen, wenn entschlossen und schnell sowie zielorientiert und planvoll agiert wird. Das sollte unser aller Ziel sein. Das gesellschaftliche Umfeld ist zurzeit günstig.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind aus unserer Sicht auf ihre rasche Umsetzbarkeit zu prüfen. Ziel muss es sein, möglichst bald Erfolgserlebnisse vermitteln zu können, um ein dauerhaftes und nachhaltiges „Dranbleiben“ zu gewährleisten. Das sollte auch ein Kriterium bei der Priorisierung der zu ergreifenden Maßnahmen sein.

Im Bereich der Klimafolgenanpassung muss allerdings deutlich mehr gemacht werden. Eine Starkregengefahrenkarte allein reicht nicht. Hier ist – aus unserer Sicht – nachzubessern.

Das Controlling alle drei bis vier Jahre in Form von Bilanzen durchzuführen (Seite 157) halten wir für zu wenig. Es sollte mindestens alle zwei Jahre stattfinden. Wenn wir das Engagement der Bürger*innen wollen, werden Transparenz, Information und Kommunikation von zentraler Bedeutung sein. Wir glauben auch, dass wir neben einer Steuerungsgruppe (wer soll darin eingebunden sein?) ein „Klimaparlament“, das alle zwei Jahre öffentlich durchgeführt werden sollte, brauchen. Auf diese Weise gelingt es vielleicht, jüngere Menschen in politische Entscheidungsfindungsprozesse einzubeziehen, zumal die politischen Parteien bei der Gewinnung und Einbindung jüngerer Generationen dramatisch versagen. Ein jährlicher Klimabericht ist vorgesehen, so dass sich derartige öffentliche Austausch- und Begegnungsforen für Bilanz und Perspektiven anbieten.

Fazit: Das Klimaschutzkonzept sollte angenommen werden, um sofort beginnen zu können. Es sollte aber auch parallel und sofort eine Aktualisierung des Konzepts in Auftrag gegeben werden,

  • die die Erreichbarkeit der EU-Klimaziele im Blick hat,
  • die die Diversität der anzusprechenden Zielgruppen in der Kommunikationsstrategie berücksichtigt,
  • die die Zielsetzung durch den Bezug zur Basiskennzahl und mit Nennung einer konkreten Zahl, die erreicht werden soll, präzisiert,
  • die eine aktive Beteiligung der Bürger*innen verfolgt, die das Ziel verfolgt, zu ermutigen, zu ermöglichen sowie zu ertüchtigen.
  • Schließlich sind die gesellschaftlichen Interdependenzen zu anderen Megatrends zu berücksichtigen, um den Erfolg der Realisierung der Maßnahmen nicht zu gefährden.
  • Dem eigenverantwortlichen Handeln jeden einzelnen Menschen sollte stärker Gewicht gegeben werden, um die Betroffenheit als handlungsleitendes Motiv zu unterstreichen und zu stärken.
  • Neben dem THG-vermeidenden Handeln sollen auch Maßnahmen in den Blick genommen werden, die THG aufnehmen oder „neutralisieren“ können.“

 

Alfred Friedrich                    Ingo Schäfer                        Dr. Winfried Kösters (parteilos)

FDP-Fraktion im Rat der Stadt Bergheim

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